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2. Kapitel

Schulorganisation und Gesellschaft

 

 

2.1    Historischer Überblick

Der gesetzliche Rahmen betreffend die Organisation der Luxemburger Primarschulen ist heutzutage fast 90 Jahre alt, da der Basistext aus dem Jahre 1912 stammt. Im ersten Teil dieses historischen Überblicks zitieren wir einen Teil der offiziellen Texte, die die wöchentliche Zeiteinteilung des Unterrichts bis zur landesweiten Einführung der heute allgemein bekannten Primarschulorganisation festlegten. Im zweiten Teil geben wir dann ein Bild dieser Zeiteinteilung, wie wir sie heutzutage in den meisten Luxemburger Primarschulen vorfinden. Im dritten Teil gehen wir kurz auf die Ferienregelung ein.

 

2.1.1    Die Schulorganisation in Luxemburg bis 1989

a.    Gesetz vom 10. August 1912 betreffend die Organisation des Primarunterrichts

Dieser unter Großherzogin Marie-Adelheid verfasste und am 11. August 1912 im Mémorial veröffentlichte Gesetzestext [7] enthält zwei Kapitel, die sich mit der Einrichtung der Schulen (Chapitre II – De l‘établissement des écoles) sowie der Organisation des Schuljahrs (Chapitre III – Année scolaire – Organisation) befassen.

Artikel 13 sieht vor, dass die Gemeinden verpflichtet sind, die für den Primarunterricht notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Artikel 17 bestimmt, dass eine Regelung der öffentlichen Verwaltung die jeweilige Feriendauer für die verschiedenen Jahresabschnitte festlegt. Artikel 20 schließlich betrifft die direkte Umsetzung der Primarschulorganisation durch die jeweilige Gemeinde und lautet folgendermaßen:

« Chaque administration communale délibérera annuellement sur le mode d‘organisation des écoles primaires de son ressort, conformément aux dispositions de la présente loi.

Les objets de cette délibération, ainsi que les conditions dans lesquelles elle sera prise ou modifiée, sont déterminés par un règlement d‘administration publique. Toute organisation des écoles présentée par une administration communale et contraire à la présente loi sera, en cas de refus du Conseil communal de la modifier, dressée d‘office par le Gouvernement, et ce, le cas échéant, aux frais de la commune.

Il en est de même lorsque les communes sont en retard de fournir leur travail. »

Dieser Artikel bewilligt den Gemeinden also einerseits Autonomie in ihren Entscheidungen bezüglich der Schulorganisation. Andererseits sind die Gemeindeverwaltungen aber auch an eine (von der Regierung jederzeit veränderbare) Regelung gebunden. Was den wöchentlichen Stundenplan anbelangt, finden wir in dem die Unterrichtsinhalte betreffenden Kapitel (Chapitre IV –  Objets d‘enseignement) folgenden Hinweis in Artikel 24 [8]:

« . . .

L‘horaire hebdomadaire ainsi que la tâche du personnel de l‘éducation préscolaire et de l‘enseignement primaire seront fixés par règlement grand-ducal, le Conseil d‘Etat entendu en son avis. »

Um genauere Angaben über die Zeiteinteilung innerhalb der Woche zu erhalten, müssen wir uns die Texte der ministeriellen Rundschreiben, der sogenannten circulaires ministérielles (auch circulaires organiques genannt), anschauen, die jedes Frühjahr vom Erziehungsminister herausgegeben werden. Im Folgenden (b. bis d.) zitieren wir aus der Textesammlung von Roger Beyser (1963) diesbezüglich relevante Ausschnitte, was die Schulorganisation anbelangt.

 

b.    Circulaire organique vom 30. Mai 1927 [9]

In diesem Rundschreiben wird darauf hingewiesen, dass die wöchentliche Stundenzahl vom Lehrplan vorgeschrieben ist, an den jede Gemeinde sich strikt halten muss.

« La durée hebdomadaire des classes est arrêtée par le plan d‘études, dont les prescriptions doivent être exécutées rigoureusement. Il n‘appartient pas aux autorités communales de modifier cette durée, sauf l‘approbation préalable du Gouvernement. . . . »

 

c.    Circulaire organique vom 15. März 1946 [10]

Interessant erscheint uns folgender Textausschnitt, da er in gewissem Sinne den Versuch einiger Lehrkräfte vereitelt, den „freien Samstag" einzuführen.

« Certains membres du personnel enseignant entendent cumuler les heures de classe aux fins de se créer un congé de fin de semaine ou bien d‘étendre démesurément la classe du matin au détriment de celle de l‘après-midi. Une telle répartition du temps ne tient pas compte de la disposition de l‘enfant à se fatiguer dans des heures de classe consécutives. Elle ne saurait être autorisée. »

Die amtliche Begründung der Verwerfung dieser Initiative besteht also in der Feststellung, dass die Kinder dazu neigen, durch aufeinander folgende Unterrichtseinheiten zu ermüden. Eine Kumulierung der Unterrichtsstunden hintereinander scheint demnach nicht angemessen zu sein.

Die circulaire ministérielle vom 11. April 1946 [11] schreibt schließlich einen landesweit gültigen Stundenplan für die Primarschulen vor, mit festen Anfangs- und Endzeiten sowohl des Unterrichts, als auch der Pausen, welche in Tabelle 2.1 verdeutlicht werden. Die dabei angeführte Begründung « Pour mettre fin à l‘arbitraire qui règne dans la fixation du temps de classe, il a été décidé que les heures de classe et les récréations sont fixées uniformément pour toutes les écoles primaires du pays . . . » ist dadurch zu verstehen, dass der Schulbetrieb während des Krieges nicht normal funktionieren konnte, und man sich jetzt in der Phase des Wiederaufbaus und der Normalisierung der Verhältnisse befindet.

Neu ist außerdem die Einführung eines zusätzlichen freien Nachmittags, der aus Uniformitätsgründen zum Sekundarunterricht auf den Dienstagnachmittag gelegt wird.

 

A. Wintersemester
(1. November – 1. April)

B. Sommersemester
(1. April – 1. November)

Vormittag:

 

Dienstag und Donnerstag

8.30–11.30 Uhr
Pausen von 9.25–9.30 Uhr und von 10.20–10.35 Uhr

8.30–12 Uhr
Pausen von 9.25–9.30 Uhr und von 10.45–11 Uhr

8–11.30 Uhr
Pausen von 8.55–9 Uhr und
von 10.20–10.35 Uhr

Nachmittag:

a) Schulen mit 4 Religionsstunden

b) Schulen mit 3 Religionsstunden

 

13.30–16.30 Uhr
Pause von 15.15–15.30 Uhr

13.30–16.15 Uhr
Pause von 15–15.15 Uhr

 

14–16.30 Uhr
Pause von 15.15–15.30 Uhr

14–16.15 Uhr
Pause von 15–15.15 Uhr

Tabelle 2.1

Tabelle 2.2 gibt die Verteilung der Unterrichtseinheiten (zu je 60 Minuten) auf die verschiedenen Fächer an. Dabei beschränken wir uns aus Vergleichsgründen zur heutigen Situation auf die Unter-, Mittel- und Obergradklassen und lassen die Komplementarklassen und Schulen mit einer einzigen Klasse für alle Altersstufen beiseite. Die Anordnungen der circulaire von 1946 werden im Jahre 1962 durch ein neues Rundschreiben ersetzt.

 

Branches d‘enseignement

Degré inférieur
I et II

Degré
moyen

III et IV

Degré supérieur

V et VI

hiver

été

Enseignement religieux

3

3

3–4

4

Langue luxembourgeoise

1

1

Langue française

3

8

8

Langue allemande

7

6

5

4

Enseignement intuitif 

4

Écriture 

1

1

Calcul 

6

5

5

4

Histoire nationale 

½

Géographie et étude du
milieu local 

1

Dessin 

1

1

½

1

Éducation musicale 

1

½

½

½

Éducation physique 

2

2

2

2

Travaux manuels 

2

2

2

2

Récréations 

3

3

3

3

TOTAL 

30

30

30/31

31

Tabelle 2.2 (Quelle: Roger Beyser, 1963)

 

d.    Circulaire organique vom 15. Juni 1962 [12]

In diesem Rundschreiben wird die Ankündigung, die Programme zu reduzieren, in die Richtung präzisiert, dass ab dem folgenden Schuljahr die Anzahl der Religionsstunden von bisher vier auf drei Stunden pro Woche herabgesetzt wird. Aus dieser Maßnahme ergibt sich die Möglichkeit, den am Samstagnachmittag verbleibenden Unterricht auf die übrigen Wochentage zu verteilen, um so eine Schulwoche mit drei freien Nachmittagen (Dienstag, Donnerstag, Samstag) zu schaffen:

« . . . Le nombre des leçons de doctrine chrétienne sera réduit à trois. Il ne reste donc à récupérer que 80 minutes sur le temps de classe du samedi après-midi. Cette récupération devra se faire selon l‘horaire ci-après:

Matinée: 8 à 11.45 heures (le samedi 8 à 11.30 heures);

Après-midi: 14 à 16.30 heures.

Les récréations sont fixées aux heures suivantes:

8.55 à 9.00 heures;

10.30 à 10.45 heures (samedi 10.20 à 10.35 heures);

15.15 à 15.30 heures.

. . . »

Da die Reduzierung der Religionsstunden nur die oberen Klassen (4., 5. und 6. SchuIjahr) betreffen, bleiben die Angaben der Tabelle 2.2 gültig. Es genügt, in den genannten Klassen nur noch drei statt vier Religionsstunden in den Gesamtwert der Stundenzahl einfließen zu lassen, womit jede Klasse auf 30 Stunden pro Woche kommt.

In einem weiteren Kontext erscheint uns folgender Abschnitt dieser circulaire ebenfalls erwähnenswert:

« Cet horaire maintient intact le temps de classe tant pour le personnel enseignant que pour les enfants. Comme le même régime des après-midis libres, avec récupération intégrale du temps de classe, sera introduit dans l‘enseignement secondaire, il existera, à partir de l‘année scolaire prochaine, une réglementation uniforme et générale telle qu‘elle a été exigée partout par les autorités intéressées. Ce nouveau régime ne manquera pas de produire un effet salutaire sur le développement de l‘enfant, la vie familiale et l‘organisation des loisirs. »

Wir werden im Rahmen der aktuellen Diskussion über die Schulrhythmen im 5. Kapitel auf dieses Zitat zurückkommen. Die folgenden Punkte (e. bis j.) beziehen sich auf Veröffentlichungen im Courrier de l‘Éducation Nationale [13].

 

e.    Circulaire vom 29. Mai 1968 [13]

In diesem Rundschreiben finden wir folgenden bemerkenswerten Textabschnitt, da er die Einführung eines sogenannten « mi-temps pédagogique » – heute würden wir eher von « journée continue » sprechen – in gewissen Primarschulen erwähnt.

« Certaines communes ayant éprouvé des difficultés lors de l‘organisation d‘un ramassage des élèves de différentes localités, il convient de leur permettre de réduire les frais de transport. A partir de l‘année scolaire 1968/69 et à titre d‘essai, les administrations communales pourront donc introduire dans les écoles relevant de leur autorité le mi-temps pédagogique. La classe sera faite le matin de 8 heures à 13 heures ou de 8.30 heures à 13.30 heures ou de 9 heures à 14 heures. Une interruption de 30 minutes sera faite entre 11 h. 30 et midi trente, afin de permettre aux élèves de manger un casse-croûte qu‘ils apporteront de chez eux. Pendant cette pause, l‘administration communale est obligée d‘offrir gratuitement aux élèves du lait chaud en hiver, du lait froid en été, ainsi que des fruits.

Deux récréations de 5 minutes pourront être prévues.

. . .  »

Dieser Vorschlag ist insofern bemerkenswert, da mit diesem Modell die Halbtagsschule bereits 1968 möglich war, bei der die Schüler jeden Nachmittag frei sind. Inwieweit diese Möglichkeit auch von einzelnen Gemeinden genutzt wurde, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis.

 

f.    Circulaire vom 21. Mai 1980 [13]

Erneut wird in einem Passus darauf hingewiesen, dass Gemeindeverwaltungen im Rahmen ihrer Schulorganisation alternative Stundenpläne beim Ministerium für Nationale Erziehung vorschlagen können:

« Les administrations communales qui, pour des raisons graves se voient obligées de proposer un autre horaire pour leur organisation scolaire voudront adresser une demande afférente au Ministère de l‘Education Nationale avant le 1er août 1980. »

 

g.    Circulaire vom 15. Mai 1981 [13]

In diesem Text begegnen wir erstmals dem Begriff « rythme scolaire », mit dem hier wahrscheinlich der Arbeitsrhythmus des Schülers gemeint ist:

« L‘horaire scolaire est à fixer d‘après des critères pédagogiques compte tenu de la psychologie enfantine; toute perturbation du rythme scolaire et toute fatigue excessive doivent être évitées. . . . »

Da außer diesem Satz jedoch weder Angaben gemacht werden, wie diese „pädagogischen Kriterien" aussehen sollen, noch ein Vorschlag in die Richtung eines alternativen Stunden- oder Ferienplans gegeben wird, scheint es sich hierbei nur um einen wohlgemeinten, jedoch nicht zwingenden Rat zu handeln.

 

h.    Circulaire vom 25. Mai 1983 [13]

In Anbetracht der 1983 anstehenden Reform des Schulgesetzes von 1912 (durch das Gesetz vom 8. September 1983) schlägt das Ministerium für Nationale Erziehung den Gemeindeverwaltungen in diesem Rundschreiben unter Punkt « 5.9 Mise à l‘essai d‘une nouvelle grille-horaire pour l‘année scolaire 1983/84 » vor, testweise einen neuen Stundenplan für die Primarschulen einzuführen:

« Le Ministère de l‘Education Nationale propose aux administrations communales intéressées, à titre expérimental, une nouvelle grille-horaire pour les classes primaires.

Cette nouvelle grille doit permettre notamment de dégager du temps de classe supplémentaire pour les branches d‘éveil et pour l‘éducation physique, ainsi que d‘intégrer dans l‘horaire scolaire normal deux leçons hebdomadaires de langue et de culture maternelles des enfants migrants.

Contrairement à la situation actuelle la nouvelle grille prévoit des périodes d‘enseignement de même durée, ce qui permet de mieux maintenir en éveil l‘attention des élèves. Par ailleurs les échanges d‘enseignants et la mise en place d‘un enseignement par groupes de branches, notamment dans les classes supérieures, seront dorénavant facilités. Le service de l‘enseignement primaire au Ministère de l‘Education Nationale fournira des renseignements supplémentaires aux administrations communales intéressées et les assistera dans la mise à l‘essai de la nouvelle grille-horaire. »

Dieser Vorschlag des Ministeriums für Nationale Erziehung wird in der circulaire vom 26. Mai 1986 noch einmal in Erinnerung gerufen und 1987 konkretisiert.

 

[7] Mémorial A N° 61, 1912, p. 761

[8] Dieser Artikel 24 wurde durch Artikel 24 des Gesetzes vom 6. September 1983 ergänzt.

[9] Mémorial, 1927, p. 429

[10] Mémorial, 1946, p. 184

[11] Mémorial, 1946, p. 381

[12] Mémorial B, 1962, p. 446

[13] Courrier de l’Éducation Nationale, 1968-1990

Bibliografie

 

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